Klimakrisen-Tagebuch #5:
Klimaflucht – Eine Vereinfachung vielfältiger Fluchtursachen oder ein politischer Begriff mit Verhetzungspotential
Der Mythos Klimaflucht (1) sollte in Zeiten zunehmender Klimakrise- Schäden im globalen Süden, internationalisierter interner Konflikte (2) und den Corona- und Ukrainekrieg-Folgen mit verschärften Armuts- und wirtschaftlichen Problemen im Globalen Süden neu betrachtet werden.
Grundtatsachen der Migrationsforschung werden in der politischen Diskussion oft missachtet:
- Flucht und Migration sind eine Normalität der menschlichen Geschichte – es hätte keine griechische Antike und kein weißes Nordamerika ohne Migration gegeben
- Flucht vor Kriegen ist ein UN-Menschenrecht, Flucht vor Armut, politischer Entrechtung sowie Klima- und Umweltkatastrophen ist ein überlebenswichtiger, aber bisher nicht universell anerkannter Fluchtgrund, der oft als Wirtschaftsflucht diffamiert wird.
Die Beschleunigung der durch die Klimakrise hervorgerufenen Schäden in der Landwirtschaft und Infrastruktur, eine verstärkte Armut im Globalen Süden als Folge des wirtschaftlichen Stillstandes während COVID in vielen Ländern und die Internationalisierung von internen Konflikten (z.B. Sudan, Westafrika, DR Kongo, Myanmar ) haben dazu geführt , dass 120 Mill. Menschen auf der Flucht sind und ein nie dagewesener humanitärer Notstand im Globalen Süden herrscht .
Komplizierte und langandauernde Konflikte führen zu einer hohen Zahl von Binnenvertriebenen, sowie dem Zusammenbruch von Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit.
Die Reaktionen im Globalen Norden sind Abschottung , verschärftes Asylregime, Reduktion der Entwicklungshilfe und gesellschaftliche Ausgrenzung von Migrantinnen:
- Dabei findet eine Verantwortungs-Umkehr statt. Migrieren wegen der Klimakrise müssen arme Menschen aus dem globalen Süden, die Klimakrise haben aber die Länder im Globalen Norden
- Flüchtlinge werden als Elendsflüchtlinge und Migration als Flüchtlings-Tsunami gelabelt. Die ökonomische Selektion der Flüchtlinge im derzeitigen Asylregime wird verleugnet. Extrem Arme haben keine Aufnahmechancen in der EU, und verbleiben jahrzehntelang in UN — Flüchtlingscamps oder als informelle Flüchtlinge in den Nachbarländern, während Fachkräfte z.B. aus medizinischen Berufen willkommen sind.
- Durch das Integrationsparadox (3) findet eine Abwertung insbesondere der Bildung flüchtender Menschen statt.
Migrationswünsche sind schwierige und individuelle Entscheidungen. Sie entstehen aus negativen Zukunftsvisionen auf Grund der Klimakrise, schlechten wirtschaftlichen und politischen Aussichten in den Herkunftsländern und oft falschen Erwartungen über die Zielländer. (4) Die Klimakrise beschleunigt aktuell die Landflucht, damit verschlechtert sich die Ernährungssituation und die Entwicklungsaussichten vieler besonders armer Länder. Zudem findet Förderung von Klima ‑Resilienz für Kleinbauern durch Entwicklungshilfe kaum statt.
(1)Hein de Haas: Migration Fischer 2023 insb. Mythos 3. „Die Welt steht vor einer Flüchtlingskrise “
(2) David Milliband ( ehemaliger britischer Außenminister und Direktor International Rescue Committee : „eine leicht entflammbare Welt“ TAZ 5.7. 2024
(3) Aladin El Maafalani: Das Integrationsparadox Köln 2020
4) Sebastian Prothmann: Lifeworlds of Young Men beyond Migration and Immobility in Pikine, Senegal. Köln: Köppe. 2017 und Vortrag im DVAG AK IZ im Juni 2019 Migrationsträume in einer Vorstadt von Dakar/Senegal